Veröffentlicht: 14. Januar 2019
Ich freue mich sehr, dass ich ein Interview mit Sven Ottke führen durfte. Auch wenn ich selbst Leistungssportler war und als Nationaltorwart im Feldhockey kein ganz unbekannter Name bin, so ist es für mich doch noch einmal etwas anderes, wenn ich mit einem solchen Sportler sprechen kann. Da bin ich dann doch wieder etwas der kleine Junge, der Sven Ottke früher nur aus dem Fernsehen kannte.
Und seine Vita ist wirklich beeindruckend. Mit 14 Jahren begann er erst mit dem Boxen, feierte aber bereits mit 16 Jahren seinen ersten Deutschen Meister Titel. Er nahm an den Olympischen Spielen 1988 in Seoul, 1992 in Barcelona und 1996 in Atlanta teil. Er wurde 11 mal Deutscher Meister und konnte sich 1991 und 1996 den Europameistertitel sichern. 1997 wechselte er ins Profilager und blieb dort in 34 Kämpfen ungeschlagen und war IBF und WBA Weltmeister.
Sven, du hast erst mit 14 Jahren mit dem Boxen begonnen, hast du vorher andere Sportarten betrieben?
Ich habe zuerst mit Fußball angefangen, weil mein großer Bruder auch Fußball gespielt hat. Aber beim SC Staaken in Berlin gab es bestimmt 6 Mannschaften in der F-Jugend. Bis ich da mal hoch kam hat gedauert. Nachdem dann einige weggegangen waren, war ich irgendwann in der 2. Mannschaft der F-Jugend. War in der Abwehr auch nicht schlecht, aber eigentlich war das nicht mein Ding.
Danach habe ich auch Leichtathletik gemacht. Da war ich auch nicht schlecht. Mittelstrecke, Sprint und Weitsprung, da war ich überall ganz gut oder zumindest okay, aber so richtig Spaß hatte ich irgendwie doch nicht.
Wie kamst du dann ausgerechnet zum Boxen?
Mich hat irgendwann ein Klassenkamerad angesprochen, ob ich nicht mit zum Boxen kommen möchte. Das war eigentlich so ein smarter Typ, also anders als ich. Ich war ja eher der Vollchaot. Das hat mich dann schon sehr überrascht, dass er boxte. Da bin ich dann mitgegangen.
Was hat denn deine Mutter gesagt, als du mit Boxen anfangen wolltest?
Sie wollte das gar nicht. Ich war ja wie gesagt nicht einfach und war eben eher der Chaot in der Schule. Und jetzt auch noch boxen. Der Vater von meinem Kumpel kam dann mal mit nach Hause und hat mir geholfen, sie zu überzeugen. Ansonsten wäre das wohl nichts geworden. Wir haben dann zu dritt auf sie eingeredet, also mein quasi Stiefvater, der Vater von meinem Kumpel und ich.
Wie groß war denn dann die Unterstützung durch deinen Eltern im Sport?
Meine Mutter war Nervenkrank und hat als Aufsicht in einem Museum gearbeitet, so dass sie mich nicht zu sehr aktiv unterstützen konnte. Aber ich war ja auch schon 14, als ich angefangen habe. Da bin ich eben alleine mit dem Bus zur Halle gefahren. Später dann mit dem Moped. Aber unterstützt haben mich meine Mutter und mein Stiefvater immer. Er war Fahrlehrer und hat dann irgendwann seinen Job aufgegeben. Er ist dann Hallenwart in der Bruno-Gehrke-Halle geworden. Also in der Halle, in der ich geboxt habe. Meine Mutter ist dann mit ihm in die Wohnung in der Halle gezogen und sie hat den Kiosk in der Halle übernommen. Also eigentlich haben sie ihren Lebensmittelpunkt für meinen Sport komplett verlegt.
Wenn ich dann einen Wettkampf in der Halle hatte, dann hat man meine Mutter auch immer gehört. Sie hatte eine recht helle Stimme, die man gut hören konnte und wenn es brenzlig oder spannend wurde, dann hat man sie immer gehört. Sogar bei TV-Übertragungen konnte man sie hören. Das war mir dann schon manchmal unangenehm und ich habe ihr gesagt, sie solle sich etwas zurückhalten. Da war sie etwas eingeschnappt, weil sie doch so mit mir mitfieberte.
Was glaubst du, wäre aus dir geworden, wenn du nicht zufällig Boxen für dich entdeckt hättest?
Ich habe erst eine Ausbildung zum Stuckateur gemacht. Ich war nicht auf dem Weg zum Abi und musste daher schon in der 9. Klasse überlegen, was ich beruflich machen möchte. Das war für mich viel zu früh. Ich hatte gar keinen Plan, was ich wollte. Mein Cousin war Stuckateur und meinte, dass könne ich doch machen. Handwerklich arbeiten, auch mal an der frischen Luft sein. Und das hat mir auch Spaß gemacht, aber irgendwann war mein Arbeitgeber dann unzufrieden. Ich war ja ständig mit dem Sport weg. In dem Jahr, als ich mich für die Olympischen Spiele 1988 in Seoul vorbereitet habe, war ich 200 Tage mit der Vorbereitung beschäftigt. Während der Ausbildung hat mich mein Chef machen lassen, aber danach hat er gesagt, entweder kann ich jetzt auf deine Arbeitskraft setzen, oder eben nicht. Also musste ich mich entscheiden: Job oder Sport. Da habe mich natürlich für den Sport entschieden. Zum Glück habe ich dann eine halbe Stelle bei der Stadt bekommen, war dort aber freigestellt. Mit diesem Gehalt und der Sporthilfe konnte ich mich dann auf das Boxen konzentrieren. Eigentlich habe ich da das Boxen schon wie ein Profi betrieben und 1997 bin ich dann auch Profi-Boxer geworden.
Nach den Olympischen Spielen 1988 in Seoul habe ich dann 1989 noch eine Ausbildung bei Mercedes Benz zum Industriekaufmann gemacht. Blöd war da nur, dass die Abschlussprüfung dann genau mit der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 1992 in Barcelona zusammenfiel. Ich habe dann auch prompt in einem Fach nicht bestanden und musste die Ausbildung noch mal ein halbes Jahr verlängern. Ich habe sie dann aber auch bestanden.
Du hast sehr viel Zeit mit dem Sport verbracht. Wie hat sich das auf deine schulischen Leistungen ausgewirkt?
Naja, ich habe schon extrem viel Zeit mit dem Sport verbracht. Montag, Mittwoch und Freitag Training im Verein und am Wochenende Wettkämpfe. Relativ früh bin ich dann auch noch Dienstag und Donnerstag zum Landesleistungszentrum gegangen und habe dort noch zusätzlich trainiert. Da habe ich in der Schule schon Hilfe gebraucht. Gerade bei der zweiten Ausbildung bei Mercedes. Da haben mir meine Klassenkameraden unglaublich geholfen. Denn ich war ja eigentlich ständig weg. Aber wir haben uns dann immer getroffen und den Stoff besprochen.
Sport intensiv zu treiben kostet auch Zeit. Zeit, die man vielleicht nicht mit Freunden außerhalb seines Sports verbringen kann. Hat dir das gefehlt? Mehr Zeit für Freunde zu haben?
Stimmt, wenn die Kumpels Party gemacht haben, bin ich zum Boxen gegangen. War halt so. Ich habe den Sport gelebt. Und wenn ich sehe, welche Lebenserfahrung ich dadurch sammeln konnte … Mega! Wie viele tolle Persönlichkeiten ich kennenlernen durfte aus Politik, Kultur und natürlich auch dem Sport. Das ist unglaublich. Das hätte ich sonst nie erleben können.
Gerade war auch wieder die Wahl zum Sportler des Jahres. Da habe ich wieder so viele Leute getroffen, die ich gut kenne und das macht unheimlich Spaß. Du triffst Sportler aus allen möglichen Sportarten und es ist wie eine Familie. Keiner ist da neidisch auf den anderen, sondern man hat einfach viel Spaß zusammen.
Gibt es ein Ereignis/Erlebnis aus deiner Nachwuchszeit, welches du wohl nie vergessen wirst?
Alles war geil. Ich war ja super schnell auch erfolgreich. Ich habe 1982 direkt mein erstes Turnier gewonnen und das, obwohl da zwei mitgeboxt haben, die hatten schon Haare auf der Brust und im Gesicht, die waren definitiv älter als 16. Aber das war mir auch egal. Ich mein, ich hatte die Hose schon voll, aber ich wollte einfach boxen. Mit 16 bin ich dann schon das erste Mal Deutscher Meister geworden. Aber das Beste war Olympia 1988. Das war Magie. Damals waren ja noch alle Athleten im olympischen Dorf. Heute wohnen viele außerhalb und reisen vor dem Wettkampf an und direkt danach ab. Damals waren alle die ganze Zeit zusammen im olympischen Dorf. Da saß ich dann als kleiner Sportler neben solchen Superhelden wie Ben Johnson oder den ganzen Stars aus der NBA. Das war wirklich unglaublich und das bleibt mir mein Leben lang.
Ich hätte damals auch echt noch eine Medaille holen können, aber da habe ich dann echte Newcomer-Fehler gemacht. Am Abend vor dem Viertelfinale waren wir im Deutschen Haus eingeladen und das habe ich schon genossen. Als wir dann zurück in die Unterkunft im olympischen Dorf wollten, waren keine Taxen mehr da. War halt schon spät. Wir sind dann zu Fuß den ganzen Weg gelaufen und waren dann um halb Zwei oder so daheim. Am nächsten Morgen musste ich dann zum wiegen und habe mich danach noch einmal hingelegt, bin aber komplett eingepennt. Da war der Kampf dann auch entsprechend. Newcomer-Fehler eben.
Wolltest du irgendwann mal mit dem Boxen aufhören?
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, ich mache höchstens 50 Kämpfe. Ich wusste ja, dass Boxen auch gefährlich sein kann, wenn du zu viel einstecken musst. Aber als ich dann 50 Kämpfe hatte, habe ich gesagt, dann mache ich halt 100 Kämpfe, aber nicht mehr. Daraus wurden dann 150 Kämpfe und so weiter. Am Ende waren es dann 335 Kämpfe. Wäre ich Amateur-Boxer geblieben, wären es wahrscheinlich noch mehr geworden.
Warst du denn im Schulsport auch gut?
Da war ich schon auch nicht so schlecht und hatte immer eine Eins oder Zwei. Ich war einfach brutal ehrgeizig und wollte da auch immer gewinnen. Zum Beispiel, als wir Bundesjugendspiele im Turnen hatten. Ich wollte immer eine Ehrenurkunde haben und nicht nur eine Siegerurkunde. Aber im Turnen mussten wir dafür einen Handstand-Überschlag über einen Kasten machen und den habe ich nicht richtig hinbekommen. Mein Lehrer hat da nur gesagt: „Sven, das reicht nicht!“, also habe ich den nochmal gemacht und nochmal. Ich bin da bestimmt 20 Mal mit Handstand-Überschlag über den Kasten und er immer: „Sven, das reicht nicht!“. Da habe ich dann auch keine Ehrenurkunde bekommen. In Leichtathletik hatte ich dafür immer eine Ehrenurkunde.
Du hast selbst Kinder. Deine jüngste Tochter wird Zehn. Macht sie auch Sport?
Sie hat total viel Energie und kann kaum stillsitzen, aber sie hat gar keinen Bock auf Sport. Das macht mich auch irgendwie fertig, aber ich kann sie ja nicht zwingen. Sie hat auch schon Turnen ausprobiert und auch Karate, aber so richtig gezogen hat sie nie.
Warum sollten Kinder Sport machen?
Na das muss sein. Jedes Kind sollte Sport treiben. Es gibt so viele, die können nicht mal eine Rolle vorwärts machen. Der Schulsport gibt da ja auch nicht genug her. Meistens sind das die Klassenlehrer, die Sport machen und die haben gar kein richtiges System. Dabei müssen Kinder im Sport gefördert und gefordert werden. Egal, ob Fußball oder Leichtathletik oder was auch immer, aber Sport. Da war das System im Osten schon nicht schlecht. Da sind alle mal durch eine Sichtung gegangen und man hat geschaut, welcher Sport passt. Heute haben ja auch viele Eltern keinen Bock oder keine Zeit, die Kinder zum Sport zu bringen. Die haben selbst volles Programm. Aber Kinder müssen lernen, sich aneinander zu messen. Da müsste meiner Meinung nach auch mehr vom Staat in diese Richtung gefördert werden.
Warum sollten Kinder zum Boxen gehen?
Boxen trainiert einfach alles. Klar gibt es da auch immer das Risiko, dass man mal K.O. geht, aber grundsätzlich trainierst du alles. Beweglichkeit, Wahrnehmung, Muskelaufbau, Ausdauer. Du bist auf allen Ebenen durchtrainiert. Auch deine Reaktionen. Da fällt jemandem am Tisch der Löffel runter und bevor der das überhaupt merkt, hast du den Löffel schon gefangen.
Wenn du nicht hättest boxen dürfen, welches wäre dein Sport geworden?
Das wäre eine Katastrophe gewesen. Ich weiß nicht, was ich dann gemacht hätte. Wie gesagt war ja schon weder Fußball noch Leichtathletik wirklich was für mich. Ich bin gottfroh, dass ich boxen durfte.
Was sind deine wichtigsten Ratschläge an die Eltern?
Unterstützen! Immer, immer, immer. Wenn mein Kind sagt, es will Sport machen, das ist doch das Größte. Da müssen die Eltern sofort helfen und unterstützen. Sport hilft den Kindern ein Leben lang. Und das auch auf vielen Ebenen. Gesundheit, Persönlichkeit, alles eben. Da muss man alles dafür tun, dass dein Kind Sport machen kann.
Was sind deine wichtigsten Ratschläge an die Kinder?
Dabei bleiben. Steckt euer Herzblut da rein und beißt euch durch. Es gibt Rückschläge, die gibt es immer, egal ob im Sport oder im Job, aber beißt euch durch.
Nils Kowalczek Nils Kowalczek (tinongo)