Veröffentlicht: 7. März 2019
Inklusion ist ein Thema, welches immer mehr Beachtung findet und welches ungemein wichtig ist. Allerdings denkt man bei diesem Thema häufig zunächst an Schulen, die sich in unterschiedlichen Ausprägungen und mit unterschiedlichem Erfolg dieses Themas annehmen. Aber das Thema Inklusion im Sport steht noch einmal auf einem anderen Blatt. Bis zu welchem Punkt können Sportvereine überhaupt eine sinnvolle Inklusion ermöglichen? Wo sind die Grenzen? Ist man mit einer Behinderung auf einen Behindertensportverein oder einen Sportverein mit einer Abteilung für Behindertensport angewiesen, oder gibt es andere Möglichkeiten?
Auf den ersten Blick bietet der Sport perfekte Voraussetzungen zur Inklusion. Steht doch grundsätzlich erst einmal das Thema „Bewegung“ und „Mitmachen“ im Mittelpunkt und dies kann sicher auf unterschiedlichen Ebenen und mit unterschiedlichem Leistungsanspruch erfolgen. Auf den zweiten Blick zeigt sich jedoch, dass das Thema auch hier nicht so einfach ist und man schon genauer hinschauen muss, welche Potenziale zur Inklusion die einzelnen Sportangebote bieten. Neben der reinen Bewegung haben die meisten Sportvereine einen Wettkampfanspruch, der sich auch in der Trainingskultur zumindest zu einem gewissen Grad widerspiegelt und der einen zu hohen Leistungsunterschied innerhalb einer Trainingsgruppe schwierig macht. Schon bei nicht-inklusiven Trainingsgruppen werden häufig unterschiedliche Gruppen nach Leistung gebildet, um allen Ansprüchen gerecht zu werden. Dies wird durch Inklusion mit Sicherheit nicht einfacher für die Sportvereine und das erschließt sich auch für Außenstehende relativ schnell. Aber die Herausforderungen für Sportvereine beim Thema Inklusion sind noch deutlich vielschichtiger, als man es schon auf den ersten Blick hin erwartet.
„Inklusion wird schwer, wenn Eltern ihre Kinder nur abgeben und dann den Verein in der Pflicht sehen.“, so zum Beispiel Florian Bayer, Geschäftsführer vom TSV Gilching-Argelsried e.V., dem größten Sportverein im Landkreis Starnberg und durchaus offen für das Thema Inklusion. Bayer selbst hat sogar eine Ausbildung im Behindertensport absolviert und weiß wovon er redet. „Wenn wir ein Kind mit geistiger Behinderung in einer Gruppe haben, dann schaffen wir es schon vom Betreuungsschlüssel kaum, diesem alleine so gerecht werden zu können, wie es nötig wäre. Und daneben ist noch die restliche Trainingsgruppe zu betreuen.“ Gerade bei einer geistigen Behinderung ist der Betreuungsaufwand oft ungemein größer und die Inklusion wird schwieriger. Dazu kommen weitere Herausforderungen. Der TSV Gilching-Argelsried hat auch eine KISS, in der Kinder unterschiedlichste Sportarten ausprobieren, ohne sich auf eine fokussieren zu müssen. In dieser Einrichtung betreute der Verein auch ein Mädchen mit geistiger Behinderung, welches bei jüngeren in der Gruppe integriert wurde, um ein ähnliches Leistungsniveau gewährleisten zu können. Irgendwann wurde dann allerdings der körperliche Unterschied so groß, weil sie als 8-jährige bei 4-jährigen hätte mittrainieren müssen, was unweigerlich bei völlig normalen Rangeleien zu Problemen führen kann.
Bei einer körperlichen Behinderung ist es häufig leichter, sich dem Thema Inklusion anzunehmen. Zumindest bis zu einem bestimmten Grad. Leider kann jemand, der auf einen Rollstuhl angewiesen ist, nicht in jede Sportgruppe integriert werden, aber die Grenzen sind auf der einen Seite fließend und auf der anderen Seite klarer zu definieren. Und manchmal lassen sich diese Grenzen weiter verschieben, als man vielleicht denkt. Ein Beispiel dafür ist Conor.
Conor ist mittlerweile 9 Jahre alt und hat seit seiner Geburt weitreichende körperliche Behinderungen. So ist zum Beispiel die Beweglichkeit seiner Hände, Arme und Füße deutlich eingeschränkt. So sehr, dass seine Mutter anfangs daran zweifelte, ob oder wie er damit Laufen lernen würde. Seine Finger waren zusammengewachsen und sind durch viele aufwendige Operationen voneinander getrennt worden. Nun kann er sie zwar einzeln bewegen, aber sie sind sehr klein und die Beweglichkeit und Kraft der Hände liegt bei nur etwa 20 % im Vergleich zu normalen Händen. Aber weder er, noch seine Eltern haben sich davon aufhalten lassen. Conor fährt Ski und Snowboard. Und Conor spielt Rugby im Verein zusammen mit Kindern ohne Behinderung. „Sie hatten im Flyer stehen‚ Rugby ist ein Sport für alle‘ und da dachte ich mir, das testest du mal aus.“, sagt seine Mutter. Irgendwann standen sie also einfach bei einem Training auf dem Sportgelände und fragten nach. Aktuell spielt ihr Sohn in der U8, also zusammen mit 6- bis 8-jährigen, obwohl er selbst bereits 9 Jahre alt ist. Eine Teilnahme an Wettkämpfen ist dadurch für ihn nicht möglich, denn dazu müsste der Verein Sondergenehmigungen beim Verband beantragen. Bis solche Dinge angepackt werden, dauert es oft lange. Zu viel bürokratischer Aufwand steckt dahinter. Manchmal auch Respekt davor, durch eine solche Aktion andere Kinder in den Verein zu locken und sich damit vielleicht auch zu viel Aufwand und Verantwortung aufzubürden. Dabei ist dies gerade im Rugby ein hausgemachtes Problem. „In anderen Ländern werden die Leistungsklassen nicht nach dem Alter, sondern nach dem Gewicht eingeteilt.“, so Conors Mutter. „Da wäre er in seiner jetzigen Gruppe in den anderen Ländern genau richtig eingegliedert.“ Eine Herangehensweise, die man sicher auch in Deutschland zumindest überdenken könnte.
Aber wichtig ist auch, dass man das Thema nicht einfach an die Sportvereine abgibt. „Man kann natürlich von der Politik den Vereinen vorgeben, sie sollen nun Inklusion betreiben, aber damit ist es eben nicht getan.“, so Matthias Vilsmayer, Vizepräsident des TSV Gilching-Argelsried. „Wenn auf der anderen Seite keine Unterstützung erfolgt, Hallenzeiten, Trainer und finanzielle Mittel fehlen, dann können Vereine das alleine nicht bewältigen.“ Am Willen der Vereine scheitert es oftmals nicht. Auch Vilsmayer und Bayer sind sich sicher, dass in den meisten der bei ihnen angebotenen Sportarten Inklusion möglich ist. Natürlich müsse dies auch immer mit den einzelnen Trainern abgesprochen werden, ob sie das sich und der Gruppe zutrauen würden. Auch die Eltern müssen informiert und abgeholt werden. Im Fußball ist dies häufig schwierig. In Deutschlands Sportart Nummer 1, bei der gefühlt jedes dritte Kind der nächste Bastian Schweinsteiger wird und bei der die Vereine ohnehin schon überlaufen sind, werden mögliche Störfaktoren für die sportliche Entwicklung der eigenen Kinder von den Eltern häufig sehr kritisch gesehen. Allerdings meistens mehr von den Eltern, als von den Kindern. Auch müssen die Eltern von Kindern sich bewusst sein, dass es mit Aufwand verbunden ist, ihren Kindern den Sport zu ermöglichen. Das gilt für Eltern von Kindern mit einer Behinderung noch einmal mehr.
Das bestätigt auch Conors Mutter, die noch einmal mehr Zeit in den Sport ihres Kindes investiert, als andere Eltern. Gespräche mit anderen Eltern, dem Verein, dem Verband. Dazu die normalen Fahrten zum Training, koordiniert mit den Trainings des zweiten Sohnes. Das ist ein großer Aufwand, aber einer, der sich lohnt. In der Vergleichsgruppe mit anderen Kindern mit ähnlicher Behinderung wie Conor, ist einer der Besseren und fast immer ganz vorne mit dabei. Ein Resultat aus der Inklusion im Rugbyverein, dessen ist sich seine Mutter sicher. Ihr Mut, einfach bei einem normalen Rugbyverein vorbeizschauen hat Conor erst viele Entwicklungen und Erfahrungen ermöglicht. Dabei war und ist das nicht immer einfach. Auch Vorurteile von anderen Eltern oder Freunden bekommt man zu spüren. Sei es manchmal auch nur in der Form, dass man für verrückt erklärt wird, seinem Kind diesen oder jenen Sport zu erlauben oder gar anzubieten. Zwar denken sie mittlerweile auch über einen Wechsel zum Para-Sport nach und probieren da auch schon einige Sportarten wie Schwimmen, Leichtathletik oder Tischtennis aus, aber grundsätzlich sind sie auch dem Rugby gegenüber weiter offen. Die Überlegungen resultieren lediglich daraus, was Conor am meisten Spaß macht und was ihn am meisten weiterbringt.
Das ist auch allgemein der Rat, den wir Eltern von Kindern mit Behinderung an die Hand geben möchten. Seid verrückt. Schaut einfach einmal bei einem Sportverein in der Nähe vorbei und fragt nach, ob Inklusion nicht möglich wäre. Vielleicht zunächst in einem Sportverein, in dem auch Freunde des Kindes Sport treiben, damit der Bezug zum Verein schon etwas größer ist. Aber grundsätzlich sollte man seinen Mut zusammenreißen und die Vereine direkt ansprechen. Vielleicht ist mehr machbar, als man dachte.
Viele Vereine sind auch offen, wenn sie direkt angesprochen werden, können aber von sich aus nur schwer auf Kinder oder Eltern zugehen. „Wir können nur schwer eine allgemeine Aussage machen, dass wir Inklusionssport anbieten. Das hängt von zu vielen Faktoren ab. Welche Art der Behinderung liegt vor und in welcher Ausprägung? Welcher Sport wird angestrebt? Aber was wir sagen können ist, dass wir für jede Anfrage offen sind und dann im Einzelfall gemeinsam diskutieren werden, ob und wie wir helfen können und Inklusion gewährleisten können.“, sind sich Beyer und Vilsmayer vom TSV Gilching-Argelsried einig. Und sicher stehen sie als Verein nicht alleine mit dieser Meinung da.
Das wird nicht für alle und für jeden ein Weg sein, der zwangsläufig zum Ziel führt. Es ist aber ein möglicher Weg, an den man denken kann und den viele ausprobieren können. Es ist aber auch ein Weg, auf die man viele Vereine erst proaktiv aufmerksam machen muss. Auch diesen Mut muss man erst einmal aufbringen.
Darüber hinaus raten wir noch dazu, sich direkt mit einem der Behindertensportverbände in Verbindung zu setzen. Am besten mit einem der jeweiligen Landesverbände, die man auf der Seite des Deutschen Behindertensportbundes e.V. findet. Sie sind eine gute Anlaufstelle für eine kompetente Beratung und Hilfestellungen.
Eine weitere gute Quelle für das Thema Inklusion im Sport bietet der Deutsche Olympische Sportbund. Hier gibt es auch viele wichtige Informationen für interessierte Sportvereine, unter anderem über Fördermöglichkeiten. Ein Tipp, den man auch beim Besuch in einem Sportverein an diesen weitergeben kann.
Nils Kowalczek (tinongo)
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