Veröffentlicht: 22. Oktober 2019
„Natürlich wäre es gut, wenn meine Kinder Sport machen, aber ich habe wirklich keine Lust, sie jedes Wochenende irgendwo hin zu fahren. Da möchte ich wirklich mal Ruhe haben. Und auch unter der Woche immer dieser Aufwand, die Kinder zum Training zu bringen. Die können doch auch einfach draußen spielen und machen Sport in der Schule.“
Bei solchen Aussagen, krampft sich in mir alles zusammen. Zwar kann ich es nachvollziehen, stehe ich doch auch mittlerweile fast häufiger auf dem Sportplatz, als zu meiner aktiven Zeit. Ich habe zwei Kinder, beide spielen in unterschiedlichen Altersklassen Hockey und haben beide zweimal bis dreimal die Woche Training. An verschiedenen Tagen. Und am Wochenende sind Spieltage. Auch diese nicht immer am selben Tag. Das bedeutet, dass meine Kinder in manchen Wochen an sieben Tagen zum Sportplatz müssen. Der Sportverein ist zu weit weg, als dass sie mit dem Fahrrad fahren könnten. Noch dazu haben sie als Hockeytorhüter zu viel Ausrüstung dafür.
Damit nicht genug, ist meine Frau auch noch Trainerin eines Kinder-Teams und ich bin Trainer der Nachwuchstorhüter. Unser Alltag wird dementsprechend um den Sport herum geplant. Es gibt Wochen, da stehen wir an 7 Tagen auf irgendeinem Sportplatz oder in einer Sporthalle. Natürlich sind wir damit ein extremes Beispiel, wie viel Zeit man in den Sport der Kinder investieren kann. Wir sind eben etwas hockeyverrückt. Aber ist das wirklich der einzige Grund? Diese Hockeyverrücktheit?
Nein, denn auf der anderen Seite wissen wir auch, wie wichtig Sport für unsere Kinder ist. Wichtig, auf ganz vielen Ebenen. Sport ist ein wichtiger Ausgleich zur Schule und zur Ablenkung mit Spielekonsolen, Computer, Tablet und Smartphone. Hinzu kommt, dass Kinder viel Bewegung brauchen. Unser Körper ist eben nicht fürs Herumsitzen gemacht! Motorische Kompetenz zu erlangen und zu verfeinern, gehört zu einer der natürlichen Entwicklungsaufgaben, die unseren Geist und Körper auf das Leben vorbereiten sollen. Bewegungsabläufe, die im Gehirn koordiniert werden müssen, begünstigen eine vielfältige Verknüpfung in neuronalen Netzwerken.
Man kann also sagen, Sport macht schlau.
Aber das ist natürlich noch nicht alles. Denn Sport ist, ganz allgemein gesagt, gesund. Das wissen wir alle, aber was das genau bedeutet, wissen die Wenigsten. Denn, dass es dabei nicht nur um den Kampf gegen Übergewicht geht, das ist vielen nicht klar. Zeit, hier einmal etwas aufzuklären, was diese Aussage „Sport ist gesund“ denn eigentlich im Kern bedeutet.
Dazu fange ich mal bei dem Offensichtlichen an. Sport hilft gegen Übergewicht. Aber haben wir denn überhaupt ein Problem mit Übergewicht? Wenn man sich die KIGGS Langzeitstudie vom Robert Koch Institut anschaut, dann haben wir hier mehr als nur ein kleines Problem. 15 % unserer Grundschüler sind übergewichtig und 5 % sind sogar adipös. Fettleibig. Und die häufige Annahme, dass sich dieser „Babyspeck“ noch verwächst, ist schlichtweg falsch. Denn die Uni Leipzig fand heraus, dass 90 % der Kinder, die im Kindergarten oder der Grundschule übergewichtig waren, dies auch noch als Jugendliche sind. Bei den Erwachsenen sind derzeit übrigens 50 % übergewichtig und 25 % adipös und der Grundstein dafür wird schon in der Kindheit gelegt.
Eine direkte Folge von Übergewicht ist Bluthochdruck. Die Entwicklung hier ist fast noch dramatischer, als beim Übergewicht. 1985 litten in Deutschland etwa 1,5 % der Kinder an Bluthochdruck. 1993 waren es schon 2,9 %. Aber seitdem ist dieses Phänomen regelrecht explodiert. 2015 hatten 10,3 % der Kinder Bluthochdruck. Auch dies fand das Robert Koch Institut heraus.
Aber Vorsicht! Auch normalgewichtige Kinder können an Bluthochdruck leiden, wenn sie sich zu wenig bewegen. Aber, „wenn die Kinder abnehmen und Sport treiben, normalisiert sich in der Regel auch der Blutdruck", sagte Professor Dr. med. Elke Wühl, Oberärztin der Sektion Pädiatrische Nephrologie am Zentrum für Kinder und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Heidelberg. Allerdings sollten Kinder dazu am besten täglich mindestens 60 Minuten Sport treiben und außerhalb der Schule maximal 2 Stunden sitzend verbringen.
Sind denn Bluthochdruck und Übergewicht überhaupt so schlimm? Was bewirkt sie denn beim Menschen? Mögliche Langzeitfolgen sind Diabetes, Arteriosklerose, Nierenversagen, Schlaganfall und Herzinfarkt. Für mich hört sich das durchaus bedrohlich an und ich würde tatsächlich alles versuchen, dass mein Kind niemals eine dieser Folgen selbst durchleben muss. Sport und Bewegung sind hier so ziemlich die wichtigsten Bausteine.
Okay, Übergewicht und Bluthochdruck, das ist den meisten bekannt, wenn vielleicht auch nicht die extremen Folgen, die damit einhergehen können. Aber war das denn schon alles? Natürlich nicht.
Eine andere Zahl aus dem Bereich der Kindergesundheit, hat mich tatsächlich sehr erschreckt. Zwischen 2 % und 4 % unserer Grundschüler leiden an Depressionen! Nachzulesen in der Welt. Das klingt im ersten Moment vielleicht nicht so viel, aber wenn man sich die durchschnittlichen Klassenstärken in Deutschland ansieht, dann wird es spannend. In den Grundschulen haben wir aktuell eine durchschnittliche Klassenstärke von 21 Kindern. Das bedeutet, dass in etwa zwei von drei Grundschulklassen ein Kind mit Depressionen sitzt. In den weiterführenden Schulen sind es sogar 3,5 Kinder pro Klasse, denn 14 % unserer Jugendlichen leiden an Depressionen oder manisch depressiven Phasen und die Klassenstärken liegen durchschnittlich bei 25 Kindern.
Kann Sport denn auch bei Depressionen helfen? Genau das haben Forscher in Norwegen in der HUNT-Studie, einer Studie an über 30.000 Personen über 13 Jahre, herausgefunden. Personen, die keinen Sport betreiben erkranken laut dieser Studie etwa 44 % häufiger an Depressionen, als Personen, die 1 bis 2 Stunden Sport pro Woche machen.
Hätten Sie das gewusst?
Aber Sie ahnen es sicher schon, das war noch nicht alles. Auch beim Thema Krebs spielt Sport eine große Rolle. Sowohl präventiv, als auch kurativ. Man geht mittlerweile davon aus, dass man durch regelmäßige sportliche Aktivitäten das Risiko, an Krebs zu erkranken, um 20 % bis 30 % senken kann. Etwa 9 % aller Brustkrebsfälle und 10 % aller Darmkrebsfälle in Europa sind auf unzureichende Bewegung zurückzuführen. Informationen dazu findet man zum Beispiel beim Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums und bei der Deutschen Krebsgesellschaft.
Eindeutige Prävention bietet regelmäßige Bewegung bei Darmkrebs, Brustkrebs und Gebärmutterkörperkrebs. Starke Hinweise auf eine präventive Wirkung gibt es darüber hinaus bei Lungenkrebs, Blasenkrebs, Speiseröhren- und Magenkrebs, Prostatakrebs, Bauchspeicheldrüsenkrebs, Leberkrebs und Eierstockkrebs. Und auch wenn Sport natürlich nicht zu 100 % vor Krebs schützen kann, so senkt er das Rückfallrisiko und hilft bei der Rehabilitation nach einer Erkrankung. Und hier weiß ich aus eigener Erfahrung, wovon ich spreche.
Darüber hinaus baut Sport in der Kindheit und Jugend chronischen Lungenerkrankungen im späteren Leben vor. Das wiederum fanden Forscher an der Univerity of Otago in Neuseeland heraus.
Das Thema, wie positiv sich Sport auch auf das Thema Stressbewältigung und Stressprävention auswirkt, habe ich bereits einmal im Blog beschrieben. Gerne hier nachzulesen. Und auf den Themenkomplex, wie sich Sport positiv auf die allgemeine physische und psychische Entwicklung auswirkt, bin ich noch gar nicht eingegangen.
Aber halten wir doch noch einmal fest, wo Sport alleine bei der Gesundheit unserer Kinder langfristig Hilfe leistet.
Sport wirkt präventiv und/oder kurativ bei:
Da muss sich doch eigentlich jeder die Frage stellen, ob er es vor sich und seinen Kindern verantworten kann, seinen Kindern keinen Sport zu ermöglichen. Auch wenn „einfache, regelmäßige Bewegung“ in vielen Fällen ausreichen würde, so ist gerade diese Regelmäßigkeit im Sportverein viel einfacher zu leisten, als ohne. Man geht natürlich eine gewisse Verpflichtung gegenüber anderen im Verein ein, aber dadurch ist es auch schwerer, dem eigenen inneren Schweinehund nachzugeben, nur weil das Wetter mal nicht stimmt oder die Lust allgemein fehlt.
Ja, ich muss sagen, ich halte es für fahrlässig, wenn Eltern ihren Kindern keinen regelmäßigen Sport ermöglichen, weil sie dafür zu bequem sind. Weil es aufwendig ist und Arbeit macht. Weil man selbst weniger Freizeit hat. Es ist eine Investition in die Gesundheit unserer Kinder, da kann der Aufwand keinem zu groß sein. Wenn auch nur die kleinste Chance besteht, meinen Kindern eine der genannten Erkrankungen zu ersparen, so stellt sich die Frage nach dem Aufwand für mich gar nicht mehr. Im Zweifel muss man sich eben vor der Sportwahl sinnvoll informieren, welcher Sport wie viel Aufwand bedeutet. Nicht jeder Sport ist gleichermaßen aufwendig, so dass es immer einen Sport gibt, den man mit etwas gutem Willen in den Familienalltag integrieren kann.
Nils Kowalczek (tinongo)