Veröffentlicht: 27. Juni 2019
Gerade erst hat Felix Neureuther seine aktive Karriere als Skiläufer beendet. Er ist wohl einer der bekanntesten männlichen deutschen Skirennfahrer der heutigen Zeit, was sowohl an seinen Erfolgen liegen dürfte, aber auch an der sympathischen Art, wenn er in Interviews zu sehen ist. Bereits mit 3 Jahren gewann er schon sein erstes Skirennen, wie sein Vater dieses Jahr auf der ISPO noch einmal erzählte. Auch wenn Christian Neureuther dies süffisant kommentierte, dass auch sonst niemand fehlerlos durch die Tore gefahren sei. Egal, wie der Sieg nun zustande kam, Christian Neureuther ist eines der vielen Beispiele, bei denen das Sprichwort „Früh übt sich, was ein Meister werden will“ stimmt.
Aber auch auf viele andere Sportler trifft das durchaus zu. Bleiben wir im Skizirkus, so hat Viktoria Rebensburg mit 3 Jahren das Skifahren gelernt und damit fast ein Jahr später, als Markus Wasmeier. Aber auch in anderen Sportarten ist auffällig, dass viele Topathleten bereits früh ihren Sport gefunden hatten. Frank Stäbler, einer unserer erfolgreichen Ringer, kam bereits mit 4 Jahren zu seinem Sport, wenn auch eher zufällig. Seine Mutter wollte ihn eigentlich beim Mutter-Kind-Turnen anmelden, aber der Kurs war bereits voll, also landete er im Ringer-Kindergarten. Fabian Hambüchen fing mit 3 Jahren mit dem Kunstturnen an und so könnte man noch weiter viele Spitzensportler aufzählen, die in so jungen Jahren bereits den „richtigen“ Sport gefunden hatten. Da mutet Gesa Krause schon fast als Spätzünder an. Sie begann „erst“ mit 8 Jahren mit der Leichtathletik. Trotzdem ist sie 2-fache Europameisterin und 4-fache Deutsche Meisterin über 3.000 Meter Hindernis.
Aber bedeutet das nun, dass es eigentlich schon zu spät ist, wenn mein Kind nun erst mit 9 oder 10 Jahren mit einem Sport anfangen möchte? Oder mit 13 Jahren noch einmal die Sportart wechseln möchte? Definitiv nicht. Es gibt nämlich auch andere Beispiele, wie unter anderem Britta Heidemann, die erst mit 14 Jahren mit dem Fechten begonnen hat und später immerhin Olympiasiegerin, Weltmeisterin und Europameisterin wurde.
Oder Poul Zellmann, Deutscher Meister über 200 Meter und 400 Meter Freistil und gerade in der Vorbereitung auf die WM. Er hat in unserem (Podcast) verraten, dass er überhaupt erst mit 10 Jahren Schwimmen gelernt hat. Und unsere aktuell erfolgreichste Stabhochspringerin, Carolin Hingst, fing erst mit 17 Jahren mit dem Stabhochsprung an. Aber eines haben die Spitzensportler, die erst spät zu ihrem Sport kamen, gemeinsam. Sie haben schon früh angefangen, sich sportlich zu betätigen. Nur eben in anderen Sportarten.
Aber die eigentliche Frage müsste ja auch nicht lauten, wie früh man mit einer Sportart anfangen muss, um Leistungssportler zu werden. Die Frage müsste eigentlich lauten, ob das Ziel, Leistungssportler zu werden, überhaupt ein sinnvolles Ziel ist. Und die Antwort auf diese Frage ist sehr eindeutig: Nein, ist es nicht! Natürlich träumen auch viele der Kleinsten schon davon, einmal Teil der Nationalmannschaft zu sein, Profi zu werden, an den Olympischen Spielen teilzunehmen. Sie träumen aber auch oft davon, Pilot/in zu werden oder Mediziner/in oder etwas ganz anderes.
Leistungssportler zu werden ist kein einfacher Weg. Denn nur wer genug Talent hat und darüber hinaus auch noch den Fleiß und den Willen mitbringt, sich quälen zu wollen (und zwar über einen sehr langen Zeitraum), wer bereit ist, Unternehmungen mit Freunden hinten anzustellen und auch viele andere Dinge dem Sport unterzuordnen, nur der hat überhaupt die Chance, ganz nach oben zu kommen. Diese Tragweite können Kinder noch gar nicht richtig abschätzen. Je älter sie werden, umso mehr können sie vielleicht nach und nach erahnen, welch steinigen Weg sie einschlagen würden oder eingeschlagen haben. Und viele gehen ihn dann auch nicht zu Ende und das ist vollkommen in Ordnung.
Fakt ist aber, dass Kinder viel Bewegung brauchen. Der menschliche Körper ist nicht für Stillstand und Herumsitzen konzipiert, sondern für Bewegung. Motorische Fertigkeiten zu erlernen und diese auszubauen und zu verfeinern, gehört zu normalen Entwicklungsschritten, mit denen sich Kinder ihre physischen und psychischen Fähigkeiten auf das Leben vorbereiten. Dabei gilt auch, je mehr Bewegungsabläufe im Gehirn koordiniert werden müssen, umso besser und vielfältiger wird das neuronale Netzwerk im Gehirn verknüpft. Und je vielseitiger die koordinativen Ansprüche sind, desto besser.
Bei den Kleinsten bis zur Grundschule reicht dazu in der Regel schon ein spielerischer Umgang mit Sportgeräten und Geschicklichkeit und Bewegung aus. Wichtig ist hier vor allem der Spaß. Der Spaß an der Bewegung, an der Interaktion mit anderen Kindern und sich langsam von Mama und Papa abzunabeln und Selbständigkeit zu erfahren. Fördern kann man dies sehr gut durch Eltern-Kind-Turnen, bei dem genau darauf Wert gelegt wird und keine Ausbildung zum Turner stattfindet.
Auch bis zur weiterführenden Schule sollte aus sportpsychologischer und sportphysiologischer Sicht vor allem im Vordergrund stehen, eine möglichst breite Ausbildung im Sport zu erlangen und sich nicht zu sehr zu spezialisieren.
Aber bedeutet das nun, dass unsere Kinder besser erst mit 11, 12 oder 13 Jahren eine bestimmte Sportart betreiben sollten? Nein, zumindest nicht unbedingt. Den meisten Sportvereinen ist durchaus bekannt, dass gerade bei den Kleinen eine breite Grundlagenausbildung viel wichtiger ist, als eine zu große Spezialisierung auf sportartspezifische Bewegungsabläufe. Sie führen daher die Kleinen sukzessive immer näher an die eigentliche Sportart heran, je älter sie werden. Die technischen und taktischen Inhalte steigern sich also von Jahr zu Jahr. Auch bildet in fast jeder Sportart zwar die sportartspezifische Ausbildung den Kern der Trainingseinheiten, jedoch ist auch hier eine breite Sportausbildung für eine positive Entwicklung unerlässlich. Nicht umsonst werden Athletikausbildung, Stabilisierungsübungen und Ausgleichssportarten aktiv gefördert und propagiert.
Ziel im Sport ist es natürlich auch immer, besser zu werden und zu gewinnen. Um dieses Ziel zu erreichen, muss man seine Leistung kontinuierlich steigern. Aber das Ziel, Leistungssportler zu werden, sollte letztendlich immer vom Kind ausgehen. Eine Entscheidung, die wir als Eltern dann durchaus auch kritisch hinterfragen dürfen aber auch unterstützen sollten. Nur sollten wir die Entscheidung niemals für das Kind treffen.
Nils Kowalczek (tinongo)